Goldrute |
Juli 1996 Ritsem - Padjelantaleden - Kisuriskåtan - Ruotesvagge - Smajla - Alkanjalme - Akkavagge - Ålkati - Alkavagge - Alkajaure - Njåtjosvagge - Luottojåkkå - Tjeurajaure - Pårte - Pårek - Kvikkjokk, 134 km
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Meine Teilnehmer sind nicht so ganz glücklich. Regnerisch sieht der Himmel
über Ritsem aus, und das gefällt ihnen gar nicht. Schlechtes Wetter, sagen
die Wanderwilligen und wollen sich von ihrem Guide partout nicht trösten
lassen. "Immer wenn es nicht regnet, ist gutes Wetter", versuche ich ihnen
klar zu machen, als wir gegen 15.30 Uhr los marschieren. Ohne Erfolg. Folglich
drückt nicht nur der Rucksack auf die
untrainierten Schultern, sondern auch das Wetter auf die Stimmung. Das aber
gibt sich spätestens vor der Brücke über den Vuojatätno. Man schaut und
staunt über die ungestüme Wasserkraft, die dort tosend Richtung Akkajaure
schießt.
Wir folgen dem Padjelanta-Leden Richtung Süden und wollen versuchen,
am üblicherweise schwierigen ersten Tag so weit wie möglich Richtung
Kisuris-Hütte zu kommen. Das ist nicht so einfach, weil die Rucksäcke für 17
Tage gepackt und damit elendsschwer sind. Also sind wir nach kurzer Zeit
nassgeschwitzt. Usere Mittagsrast am Weg dient vornehmlich einem Ziel, den
Rucksack zumindest ein klein wenig leichter zu essen. Einem hübsches
Plätzchen zwischen großen Findlinge westlich des Sinjuftutis-Berges können
wir um etwa 20 Uhr nicht widerstehen: Wir schlage unser erstes Lager auf.
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Ales hängt voller Wolken. Das sorgt für eine wildromantische Morgenstimmung,
die Grupe ist dennoch überzeugt: Das ist schlechtes Wetter. Wir ziehen
natürlich dennoch weiter. Immer den Padjelanta-Weg entlang. Nach kurzer Zeit
und einer angenehmen Etappe erreichen wir den Drei-Parks-Punkt kurz vor der
Kisuris-Hütte. Klar, dass wir vor den drei Tafeln, die über die
Nationalparks informieren, die hier aneinandergrenzen, ein Gruppenfoto
schießen. Wir rasten am Ufer des Baches und genieße die Sonne, die ab und an
auf uns herabstrahlt. Nach langer Pause verlassen wir den Padjelanta-Weg und
ziehen weiter nach Osten. Links voraus wächst das Akka-Massiv in die Höhe,
rechts begleitet uns Kisuris.
Die Landschaft verändert sich. Offenes Gelände
lässt den Blick schweifen bis hinüber zum Niak, dem äußersten Vorposten des
westlichen Sarek-Massivs. Die 14 Mann starke Truppe verteilt sich
großflächig im Gelände - die Renner vorneweg, die Genießer hintendrein. Ein
Rauhfußbussard kreist über uns, und alle sind mehr und mehr guter Dinge. Die
Strecke ist aufgrund ihrer geringen Steigungen sehr leicht zu bewältigen -
ein zwar langer, aber sehr bequemer Sarek-Einstieg. Ehe wir uns versehen,
steht die alte Kisuris-Kohte vor uns, und wir haben unser Tagesziel
erreicht. Eine kleines Plateau bietet mehr als genug Platz für unsere sieben
Zelte. Wir erleben einen grandiosen Sonnenuntergang und verschwinden dann
ganz schnell in den Zelten, weil es empfindlch kühl wird. Wir kochen in den
Vorzelten und schauen nach Westen in den glühenden Abendhimmel. |
Heute wollen wir in den zentralen Sarek vorstoßen. Also schwenken wir ab
nach Südosten und marschieren links am Niak vorbei ins Ruotesvagge hinein.
Kurz davor geraten die Renner unserer Gruppe ins Hintertreffen, nachdem sie
erkennen mussten, dass sie völlig unnötigerweise den Niakjåkkåti
überquert haben. Macht nichts. Kurze Zeit später sind wir wieder vereint und
stoßen immer tiefer ins Ruotesvagge vor. Inzwischen trübt es sich wieder
ein, und wir erleiden einen Regenguss, der sich allerdings rechtzeitig vor
der Mittagsrast an der Renwächterhütte wieder verabschiedet. Glück gehabt.
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Ein Regenbogen versüßt uns die Pause an der verschlossenen Renwächterhütte. Wir marschieren weiter und staunen über die steilen Bergflanken und Gletscherabbrüche zu unserer Linken im mächtig steilen Sarek-Massiv. Gebannt stehen wir vor dem Ruotesgletscher und bibbern in der Kälte, die er uns zubläst. Noch mehr gebibbert wird allerdings beim Durchqueren des Gletscherbachs, der uns die ersten vor Kälte roten und schmerzenden Füße beschert. Ungefähr in der Mitte des Tals bauen wir dann die Zelte auf.
Der Himmel ist wieder sehr bedeckt, die Teilnehmer murren. Unser Marsch
bleibt weiterhin einfach, von gelegentlichen leichten Bachüberquerungen
abgesehen. Wir folgen dem Ruotesvagge nach Osten immer weiter ins Herz des
Sarek hinein. Vor allem links neben uns werden die Berge immer höher. Das
Sarek-Hauptmassiv zieht uns mehr und mehr in seinen Bann.
Am Nachmitag erreichen wir die
mmer noch sichtbaren Reste der alten Mikkahütte. Die stand früher ein gutes
Stück nordwestlich der neuen Hütte am Westhang des Skarjatjåkkå.
Als wir die tatsächliche Hütte an der Brücke über den brodelnden Smaila
erreichen, stellen wir fest: Der Ort trägt seinen Namen zurecht - Smaila-Treffen.
Hier trifft man sich im Sarek, weil sich an der Brücke die wichtigsten
Ost-West-Routen im Park bündeln. Mehrere Zelte sind bereits aufgestellt, wir
suchen uns einen Platz etwas abseits. |
Wir haben für heute einen Ruhetag eingeplant. Das Wetter ist zwar noch
düsterer als gestern, aber wir ziehen dennoch los. Wir wollen in die Berge,
zumindest ein Stück weit den wolkenverhangenen Sarekgipfeln näher kommen.
Auch ohne Wolken wären die von Süden aus nicht zu erklimmen - sie sind zu steil.
Macht nichts. Wir klettern im Rekordtempo auf den Matuålke gleich
nordöstlich der Hütte und werden mit erstaunlich weiten Aussichten belohnt.
Im Süden unter uns überblicken wir das obere Rapadalen mit den Skarja-Sümpfen.
Und gleich vor uns im Norden stecken die höchsten Sarek-Gipfel im Nebel. Nur
die Schwarze Spitze voraus ist deutlich zu erkennen. Weil wir neugierig auf
den Mikka-Gletscher sind, steigen wir ab über die steile Westflanke des Berges.
Dort finden wir eine Quelle, an der wir unseren inzwischen recht großen Durst
stillen und kämpfen uns durch die nassen Blockfelder nach unten.
Auf Höhe der
Gletscherzunge erreichen wir die Talsohle. Schmutzig-grau ist die
Gletscherhaut, Steine liegen auf dem Eis. Unmittelbar vor dem Gletscher sieht
die Zunge aus wie eine erstarrte Riesenwelle (schauder!). Beeindruckend öde
und trostlos ist die riesige Fläche auf sich der schrumpfende Gletscher in
früheren Jahren zu Tale gewälzt hat: Zermahlener Felsschutt so weit das Auge
reicht. Auf dem Heimweg zum Lager bei der Hütte erwischt uns ein
Regenschauer kalt. Es sollte nicht der letzte sein an diesem Tag. Den
restlichen Tag verbringen wir gemütlich mit Spaziergängen entlang der scharf
eingeschnittenen Schlucht, in der der Smaila wütet. Wir sind froh, dass es
die Brücke gibt. Als wir längst in den Schlafsäcken liegen, fegt ein
heftiger Sturm über uns hinweg, der sechs von unseren sieben Zelten flach zu
Boden drückt. Ein Umzug in eine geschützte Senke lässt sich nicht vermeiden.
Wir werden nass bis auf die Knochen, aber die Zelte bleiben heil und stehen
wieder. |
Als wäre nichts gewesen lacht uns am Morgen die Sonne an. Fast vergessen ist
der nächtliche Sturm, nur die zum Trocknen aufgehängten Kleider erinnern
noch daran. Die Sarek-Berge strahlen uns an, und kein Wölkchen trübt den Blick.
Was für ein Start in den Tag! Wir
halten auf das Westende der Skarja-Sümpfe zu. Das Alkavagge ist unser Ziel.
Die Gruppe marschiert den Hang entlang, der das Ruotesvagge vom oberen
Rapadalen trennt. Das Tempo ist sehr uneinheitlich, die Teilnehmer verteilen sich
wieder entlang der Strecke. Irgendwann ist der Abstand von der Spitze zum Schlusslicht
allerdings zu groß. Beim Warten wird klar, das Cordula nicht mehr weiter
kann. Sie hat Schmerzen im Bein. Vor ein paar Tagen ist sie umgeknickt,
jetzt kann sie nicht mehr auftreten. Selbst ohne Rucksack kann sie nur unter
Schmerzen weiter. Es hat keinen Sinn. Cordula muss raus. Die Entscheidung
fällt uns nicht leicht. Wenigstens ein Trost bleibt uns: Wir sind noch sehr
nahe an der Mikka-Hütte und ihrem Nottelefon. Also stützen wir Cordula, die
mit uns zurückhumpelt. Der Rest der Gruppe wartet am Kuoperjåkkå.
An der Hütte verständigen wir mit Hilfe eines schwedischen
Wanderers die Rettungswacht im fernen Gällivare und warten. Etwa eine Stunde
später hören wir das Dröhnen des Hubschrasubers. Und dann geht alles ganz
schnell. Das rote Ungetüm landet neben der Hütte. Zwei Mann springen raus, einer
untersucht Cordulas Knie, wir verabschieden uns, und der Heli hebt ab.
(Cordula kommt lange vor uns wieder Zuhause an. Nach einer Untersuchung im
Krankenhaus fährt sie mit dem nächstmöglichen Zug wieder nach Deutschland.
Ihr Knie ist wieder in Ordnung. Den Flug musste sie auch nicht bezahlen.)
Wickie und ich staunen über de großen Hubschrauber, der vor dem Hintergrund
der Sarekberge zum Insekt wird, dann gehen wir zurück zur wartenden Gruppe.
Die Stimmung ist bedrückt - Abschied von Cordula, die den Marsch durchs Fjäll
so offensichtlich genossen hatte und alle Eindrücke in sich aufzusaugen schien.
Rucksäcke werden umgepackt (wir haben jetzt eine Dreier-Gruppe), und dann geht's
weiter. Das Wetter lässt nach, als wollte es die Stimmung der Gruppe
unterstreichen, und wir überqueren den Kuoperjåkkå im Nieselregen.
Kein allzu großer Spaß. Die Renwächterhütte am Westende des Alkavagges ist
zwar offen, aber viel zu klein für uns 13. Wir lagern ein gutes Stück
oberhalb von ihr am Eingang zum Akkavagge, einem kleinen, aber steilen
Seitental. |
Wie man sich doch täuschen kann. Der Tag hatte wirklich keinen vielversprechenden
Anfang. Regen, Regen, Regen. der größere Teil der Gruppe kann sich dennoch
dazu durchringen, auf Tour zu gehen. Der ruhigere Rest nimmt den Ruhetag
wörtlich und bleibt in den Zelten. Die Unentwegten steigen das steile Akkavagge
hinauf. Kein Zuckerschlecken, denn es geht zwei Stunden lang über nasse
Blockfelder. Das erfordert viel Vorsicht und Konzentration. Vier von uns kehren
wieder um. Der Rest erreicht endlich die Schneefelder östlich des
Akkagletschers. Von dort geht es richtig steil hinauf zu einem kleinen See
direkt unterhalb des Jåkåtikaskagletschers. Fasziniert rasten wir
am Ufer des eisigen Gewässers und betrachten die Schollen im türkisfarbenen
Wasser. Inzwischen hat sich die Sonne durch die Wolken gekämpft. Wir fühlen uns
reich belohnt für unsere Mühen. Wir steigen auf den Gletscher und marschieren
fortan im Eis. Nach und nach tauchen Bergspitzen am Horizont auf. Piellorieppe
im Süden, Skarki im Osten und schließlich das Sarek-Massiv in ganzer Pracht im
Norden. Eine Vielfraßspur im Eis findet unsere Beachtung, während wir Schritt
für Schritt den Axel Hambergs Topp umrunden. Inzwischen stehen wir auf dem
Ålkatj-Gletscher. Carsten und ich, wir trennen uns von der Gruppe und
nehmen den Topp in Angriff. Bei schönstem Sonnenschein steigen wir die
langgezogene Ostflanke hinauf. Auf dem Gipfel (1827) haben wir fast den
gesamten Nationalpark unter uns. Der Ausblick ist überwältigend und reicht im
Nordosten bis über den Slugga und damit weit über die Grenze des Parks hinaus.
Wir schauen weit ins Rapaselet hinab und können die Gipfel um uns herum kaum
zählen. Gut 400 Meter unter liegt der bereits erwähnte Gletschersee mit
seinen Eisschollen wie ein Kunstwerk zwischen Schatten und Sonne. Beim Abstieg
halten wir uns etwas nördlicher und staunen über die gewaltigen Eisbrüche an
der Südostflanke des Skårvatjåkkå. Zwischen ihm und dem Axel
Hambergs Topp steigen wir wieder hinunter ins Akkavagge. Nach knapp zehn Stunden
erreichen wir zusammen mit dem Rest der Gruppe wieder den Lagerplatz. Die
Tatsache, dass jeder von uns mit gerade mal einer Handvoll Schokolade und Nüssen
ausgekommen ist, beweist den "Nährwert" der Eindrücke auf dieser Bergtour, die
für mich die bislang schönste Gipfeltour im Sarek war. |
Ein denkwürdiger Tag - in zweifacher Hinsicht. Ab heute sollte es bis zum
letzten Tag der Tour nicht mehr regnen. Kein leichter Stand für den scheinbar
so erfahrenen Guide, der sich jetzt von seinen Teilnehmern aufklären lassen muss:
"Das ist schönes Wetter", sagen sie. Soll ja recht sein. Wir nutzen das Wetter
für unseren
längsten Marschtag: Knapp zehn Stunen lang sind wir unterwegs durchs lange
Alkavagge. Weil wir nach dem Tal nach Süden abbiegen wollen, meiden wir die
vergleichsweise vielbegangene Nordseite und verzichten somit auf den dortigen
Trampelpfad. Anfangs ist das kein Problem. Denn im Osten gleicht das Alkavagge
einem riesig langen Fußballplatz - ein Trogtal par excellence, fast schon
unwirklich flach. Das Wandern wird zum Genuss. Ungefähr ab der Hälfte aber, wird
die Tour sehr beschwerlich. Dichtes Buschwerk hemmt das Vorankommen. Wir lernen:
Der Trampelpfad verläuft nicht grundlos im Norden. Die Gruppe verliert sich fast
im Dschungel, man sieht sich so gut wie nicht. Zum Ausgleich verwöhnt uns das
Wetter (fast schon zu sehr). Zwischen 15 und 18 Uhr liegen wir faul und
äußerst leicht bekleidet in der Sonne nahe an einem Schneefeld, dass uns das
nötige Eis für unsere improvisierten Milkshakes liefert. Lappland kann ganz
schön heiß sein.
Dennoch: Wir haben noch ein weites Stück vor uns. Am Südufer des Alkajaures
wartet wieder dichtes Buschland auf uns, und wir haben unsere liebe Müh' damit.
Erst nach insgesamt gut neun Stunden Marsch erreichen wir unser Tagesziel:
ein lauschiges Plätzchen knapp oberhalb des Sees und in der Nähe der Alkahütte.
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Der Morgen wollte nicht so recht erfrischend auf uns wirken. Schließlich steckt
uns noch der zwar schöne, aber eben doch sehr lange Marsch vom Vortag in den
Knochen. Weil aber wieder die Sonne strahlt - und meine Teilnehmer scheinen
das langsam selbstverständlich zu finden - fällt mir die Überwindung nicht
ganz so schwer, und ich nehme ein morgendliches Bad im doch recht frischen
Alkajaure. Das braucht seine Zeit, vor allem das Hineinwaten (schauder!),
aber noch sind die meisten Teilis eh nicht wach. Heute geht's nach Süden.
Immer an der Grenze zwischen Padjelanta und Sarek entlang. Wir erreichen die
Renwächterhütte am Tjågmåskaite, eine Stelle, die ich mittlerweile
zum dritten Mal besuche. Dort stoßen wir auf den unmarkierten Trampelpfad,
der uns hinauf ins obere Njatjosvagge führen soll. Und dann stoßen wir auf
etwas, das wir bislang sorgsam gemieden haben: eine Steigung. Der Hang vor den
beiden kleinen Seen Tjågnårisjauratj und Skiejakjauratj schafft uns. |
Die Gruppe verteilt sich wieder großzügig entlang der Strecke, und es dauert eine ganze Weile, bis alle den Aufstieg bewältigt haben. Wir marschieren bei (muss ich es sagen?) bestem Wetter bis zum Nordufer des Skiejakjauratj, wo wir auf etwa 990 Meter Höhe unser bislang höchstgelegenes Lager aufschlagen.
Heute ist Ruhetag. Ein Teil der Gruppe nutzt ihn für einen Aufstieg auf den
schneebedeckten Vassjapakte (1735). Ich beschließe dagegen, meinen Knien etwas
Ruhe zu gönnen und verbringe den Tag in erster Linie auf meiner Isomatte in der
Sonne liegend. Irene gönnt meinen verspannten Rückenmuskeln eine Massage,
danach herrscht Ruhe am Lagerplatz. Einen ganzen Nachmittag lang ist nicht viel
mehr zu hören als das Plätschern des Bachs, ein paar Insekten und Vögel. Das
gibt es so Zuhause nicht. Abends versammelt sich eine gut gelaunte Koch- und
Essrunde vor meinem Zelt. Die Firma Trangia hätte beim Anblick ihrer
Sturmkocher in Reih und Glied sicher ihre wahre Freude gehabt. Zwei Ausblicke
faszinieren uns: der nach Südwesten zum eigentlichen Njatjosvagge, wo die Welt
nach dem Pass zwischen Skiejakvaratj und Tjånåisjåkkå
Plötzlich zu enden scheint. Dahinter ist nur noch Himmel. Der zweite Blick geht
nach Westen, wo wir einen flammenden Abendhimmel bestaunen.
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Sonne (was sonst?) treibt uns aus den Zelten. Wir steigen hinauf zum Pass und
genießen den Blick auf das enge obere Njatjosvagge mit seinen langgezogenen
Seen. Am Nordufer des obersten Sees wir der Pfad deutlicher, allerdings
empfinden wir das kaum als geschmälerte Wildnis. Denn erstens treffen wir den
ganzen Tag lang keine Menschenseele im Tal, zweitens ist das Njatjosvagge
derart eng, dass es ohnehin keine Alternative gibt. Wir gönnen uns eine
ausgiebige Rast am Seeufer auf einer sonnigen Wiese direkt an einem kleinen
Bach. Das Leben kann so schön sein! Auf dem Wasser glitzert die Sonne als
wären Sterne im See. Immer wieder schauen wir auf den Pulkas, einen scharf
geschnittenen Gipfel, der zusammen mit dem Vassjapakte, die Engstelle im Tal
markiert. Nach dem unteren See kommen wir an einen steilen Hang. Wir schauen
hinunter aufs untere Njatjosvagge und staunen über die deutlich ausgeprägtere
Vegetation. Der Weg führt aber oberhalb an der Nordseite des Tals entlang weiter
nach Südosten. Dann, nach einer weiteren Stufe, stoßen wir auf ein ernsthaftes
Hindernis, den Luottojåkkå. Der Bach entwässert einen Großteil der
Hochebene Luottlakko und ist recht gewaltig. Von der auf meiner alten Karte
eingezeichneten Brücke sind nur noch unbrauchbare Reste zu finden. Wir müssen
furten. Wie mittlerweile üblich scheint die Sonne und liefert einen angenehmen
Rahmen. Allerdings wird der Übergang zu einem der schwierigsten überhaupt. Der
Bach hat eine ungestüme Kraft, die sogar die dünnen Wanderstöcke nach hinten
reißt. Im Hauptstrom bekommt es jeder von uns mit der nackten Angst. Wir helfen
uns gegenseitig, brauchen viel Zeit, kommen dafür aber alle heil ans andere Ufer.
Wir sind ganz schön geschafft und schlagen unsere Zelte auf.
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Weil wir nicht früher als geplant den Sarek verlassen wollen, legen wir heute
einen erneuten Ruhetag ein. Meine Knie schmerzen, und ich gehorche der Vernunft:
Ich bleibe im Lager. Die meisten allerdings gehen auf Tour und steigen hinauf
auf die Hochebene Luottolakko. Dort oben erklimmen sie einen kleinen Hügel, von
dem sie die reichlich unebene Hochebene überblicken. Später berichten sie von riesigen Rentierherden,
die dort oben umherstreifen. Unten im Lager tut sich hingegen nicht viel. Wir
sind völlig ungestört, anscheinend ist das Njatjosvagge unter den Sarekwanderern
nicht sehr populär. Wir liegen faul in der Sonne, schließlich ist das hier
Urlaub! |
Wir steigen hinunter ins tiefer gelegene grüne Njatjosvagge. Zum ersten Mal
macht sich leichter Abschiedsschmerz bemerkbar. Mit jedem Höhenmeter entfernen
wir uns von unserer gewohnten Sarek-Umgebung. Die Landschaft erinnert langsam,
aber sicher immer mehr an das grüne Land um Kvikkjokk. Dichtes Gebüsch umgibt
uns, aber der Pfad ermöglicht ein flottes Tempo, wenn man ihn nicht verliert.
Es ist schwül, und wir schwitzen wie verrückt. Wir erreichen die Njatjoshütte
und ziehen weiter, mittlerweile nur noch auf etwa 640 Meter Höhe. Richtig
abenteuerlich wird es am Nachmittag, als wir an den Palkatjåkkå
kommen. Wir entscheiden uns für einen Übergang auf Raten. Die ganz
Mutigen wagen einen beherzten Sprung über eine felsige Engstelle zwischen
Felsen durch die der Bach hindurch strömt. Danach werfen wir die Rucksäcke
übers Wasser.
Eine zeitraubende, aber sehr effektive Methode. Nur ein Turnschuh hat Pech.
Weniger zum Ärger der Eigentümerin als zu Gunnars, der einen gewagten, aber
leider erfolglosen und sehr nassen Rettungsversuch unternimmt. Der Schuh geht
ebenfalls Baden und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Wer nicht springen will,
durchquert den Bach etwas weiter unten an einer zwar recht tiefen, dafür aber
sehr ruhigen Stelle. Weil uns die Felsterrassen am Ufer so einladen, rasten
wir sehr ausgiebig und nehmen erneut ein langes Sonnenbad. Auch an diesem Tag
entstehen Fotos von äußerst leicht bekleideten Wanderern, die so gar nichts
mit Lappland zu tun haben wollen. Wir marschieren weiter bis über die
Renwächterhütte hinaus, wo wir auf einer Anhöhe einen zauberhaften Lagerplatz
finden. Der Blick reicht zurück über das Njatjosvagge hinweg bis hin zum
Ryggåsberget.
Und noch etwas finden wir: Jede Menge Pilze, aus denen wir ein schmackhaftes
Abendessen bereiten. Die erste frische Nahrung seit Tagen! Und noch etwas
überrascht: Abends fallen ein zwei Tropfen vom Himmel. So was! |
Weil es doch so heiß ist in Lappland, sind wir heute sehr zeitig aufgestanden,
und schon um 9 Uhr abmarschbereit. Wir haben die Steigung hoch zum
Skiejakjauratij noch gut in Erinnerung und wollen den Säkok noch vor der
Mittagshitze hinter uns bringen (eine Überlegung, die ich sonst eher in
Griechenland anstelle). Die 400 schweißtreibenden Höhenmeter schaffen wir zu
unser aller Überraschung recht schnell. Vielleicht sind wir trainiert genug,
vielleicht sind die Rucksäcke mittlerweile leicht gefuttert oder beides. Schon
um die Mittagszeit erreichen wir unser Tagesziel: den Tjeurajaure vor der
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steilen Felswand Tjeuramåske. Das Abschiedsgefühl der Vortage ist verschwunden, wir sind wieder auf Höhe (1030 Meter)! A propos Höhe, die Versuchung ist natürlich zu groß. Kaum sind die Zelte aufgebaut starten einige von uns zum Gipfelsturm. Schließlich lockt der Nahe Pårte im Norden, der wohl am leichtesten zu besteigende 2000-er im Sarek. Der Weg führt über die weite Hochfläche voller Felsen und Blockfelder, auf denen einst ein Gletscher lag. Wir wollen es uns leicht machen und peilen eine Bergflanke an, die gleich westlich der kleinen Tjeuraseen nach oben führt. Der Aufstieg ist nicht anspruchsvoll, aber lange und sehr anstrengend. Es geht ständig über loses Gestein. Oben auf dem Grat auf etwa 1800 Meter Höhe erwartet uns ein äußerst ungewohnter Anblick: Hütten und Antennen. Wir stehen vor dem Pårtetjåtkkå Observatorium. Nach insgesamt zwei Stunden und 47 Minuten stehen wir dann auf dem Gipfel (2005 Meter). Wir sind schlichtweg platt. Um uns herum ein Meer von Bergen. Fern im Westen der Virihaure, im Osten das Rapaätno-Delta, im Süden klarer Blick bis zum Staika und direkt unter uns der riesige Pårte-Gletscher. Selbst der kniebedrohliche Abstieg wird zum Genuss. Wir finden ein sehr langes und sehr steiles Schneefeld, das uns in wenigen Minuten 500 Meter tiefer bringt. Ein wahrer Geschwindigkeitsrausch packt uns, als wir auf dem Hosenboden zu Tal flitzen. 3100 Höhenmeter pro Stunde zeigt der Wandercomputer am Handgelenk an. Unten angekommen, sind wir so high (sic!), dass es lange dauert, bis wir die nassen Hosen sowie den Schnee in Taschen und Stiefeln bemerken. Wahnsinn! Sehr glücklich marschieren wir über die Hochfläche zurück zum Lager.
Wir haben noch einen Ruhetag übrig, und den gönnen wir uns heute. Wir wollen
noch nicht ins Tiefland zum Pårek Lapplager absteigen, wo es unumstößlich
nach Abschied von den Bergen riecht. Der Ruhetag gilt im Wortsinne allerdings
nicht für Almut, Annett, Irene und Joachim, die sich gestern ausgeruht haben
und dafür heute auf den Påte wollen. Wir anderen beschäftigen uns heute
in erster Linie kulinarisch. Wir verwöhnen uns mit Pfannkuchen und Kompott.
Jawohl Kompott. Die am Vorabend in Wasser gelegten Trocken-Aprikosen finden
unseren Beifall. In re-hydriertem Zustand schmecken sie fast wieder wie echt.
Ansonsten genießen wir einfach den Tag, spielen ausgiebig Karten und warten
auf die anderen.
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Heute ist unser letzter ganzer Tag in den Bergen. Es geht definitiv abwärts. Das
Wetter ist dennoch prächtig, und wir haben Spaß am Furten durch den
Säkokjåkkå. Wenig später führt der Weg am Südhang der Pårek
Berge hinab zum Lapplager, einer verlassenen Sommersiedlung der Samen. Hier
ist alles anders. Wuchernde Vegetation. Wir sehen einen Nördlichen Eisenhut vor
einer alten Kohte und stellen fest, dass wir die Farbe Lila in Natur schon sehr
lange nicht mehr gesehen haben. Die ausgebaute Furt über die Seen macht uns keine
ernsthaften Probleme. Wir haben jetzt wieder Bohlen unter den Füßen. Hilfreich im
Sumpf, aber sehr ungewohnt für uns. Am Südrand der Seenplatte, gerade noch
innerhalb der Nationalparksgrenzen, machen wir halt. Rasch sind die Zelte
aufgebaut - auffälligerweise alle mit Blickrichtung Nord zu den Sarek Bergen hin.
Am Abend ziehen Wolken auf, ein schmales Band spannt sich wie mit dem Lineal
gezogen um die Pårekhänge. Es wird sehr frisch, und wir verziehen uns
schnell in unsere Zelte.
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Es regnet. Zum ersten Mal seit zehn Tagen regnet es wirklich. Sarek oder nicht
- darauf sind wir nicht (mehr) gefasst. Wir verfolgen eine einfache, aber
wirkungsvolle Strategie und bleiben so lange im Zelt, bis der Regen aufhört.
Das funktioniert ganz gut. Wir packen also zusammen und schauen zurück auf den
wolkenverhangenen Pårek. Ein Pärchen marschiert an uns vorbei. Wir haben
Mitleid mit ihnen, denn die Sonnenscheinphase scheint beendet zu sein. Das
macht uns den Abschied schon etwas leichter, und wir ziehen los nach Süden.
Nach kurzer Zeit passieren wir die Nationalparksgrenze. Adieu Sarek! Der
markierte Weg (so etwas hatten wir zuletzt vor 15 Tagen!) führt hinunter zum
Stuor Tata See. Wir tauchen ein in den Nadelwald. Am Westufer des Sees
geschieht dann etwas seltsames: Wir verlaufen uns auf einem markierten Weg! Es
dauert eine weile, bis wir wieder klar kommen und schließlich den Kungsleden
finden. Anscheinend sind wir markierte Wege nicht mehr gewöhnt. Der Rest des
Weges ist schiere Kilometerfresserei unterbrochen nur von gelegentlichen Stops
an sumpfigen Stellen, wo wir leckere Multebeeren finden. Zu
unserer großen Freude regnet es nicht, dafür aber ist es recht schwül.
Kvikkjokk, also die Zivilisation, lockt nach 17 Tagen. Wir freuen uns auf die
gemütlichen Hütten. An der Fjällstation mit der berühmten Rucksack-Waage geht
die bislang längste Sarek Tour offiziell zu Ende. Mein Rucksack, der mir nach
all den Tagen nur noch wie ein Day Pack vorkommt, wiegt immerhin noch
erstaunliche 22 Kilo. Bei den anderen ist es nicht viel anders. Wir haben es
geschafft. Nachklapp: Die 96-er Tour war schon etwas besonderes. Freundschaften
sind entstanden, die die Tour längst überdauert haben. Beim Nachtreffen im
Oktober waren von 14 Teilnehmern aus ganz Deutschland und der Schweiz 13
anwesend. Wenn das kein Zeichen ist! |
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