Geflecktes Knabenkraut |
Juli / August 1995 Kvikkjokk - Vuokajaureh- Rakasvagge- Ritovare - Staikakuotel - Kuravagge - Njunjes - Rautavaratj - Kvikkjokk, 76 km
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Die 95-er Tour müsste ich eigentlich zweimal beschreiben. Denn tatsächlich
bin ich sie auch zweimal gelaufen. Einmal quasi als Auszubildender für einen
gewerblichen Reiseveranstalter, und unmittelbar danach als Guide für eben
jenes Unternehmen. Weil beide Touren nahezu identisch waren, schildert das
Tagebuch Erlebnisse aus beiden Touren. Wir starten am Campingplatz in
Jokmokk und fahren mit dem Bus nach Kvikkjokk. Die erste kurze Bekanntschaft
mit den schweren Rucksäcken machen wir auf dem kurzen Fußmarsch runter zum
Bootsanleger. Die Gruppe ist groß (etwa 15 Personen), deshalb sind zwei
Fuhren nötig. Das Wetter ist typisch: dichte Wolken über uns, aber immerhin
kein Regen. Drüben in Mallenjarka wartet die erste Gruppe auf der hübschen
Blumenwiese auf die zweite. Dann geht's los auf dem Kungsleden in Richtung
Süden. Kaum sind wir im Wald verschwunden, kommt die Sonne heraus.
Das ist
gar nicht mal so angenehm, denn an dem steilen Hang kommen wir ganz schön ins
Schwitzen. Nach etwa 40 Mintuten machen wir eine erste Rast - immer noch im
Wald, immer noch am Hang. Ein paar Moskitos sind unterwegs und beunruhigen die
Lappland-Neulinge in der Gruppe. Kurz vor der Hangkante überschreiten wir
die Baumgrenze an diesem Nordhang und einen Rentierzaun. Wir folgen weiterhin
dem Kungsleden nach Süden. Auf diesem Abschnitt herrscht sehr wenig "Verkehr"
im Gegensatz zu den Strecken nördlich von Kvikkjokk. Nachdem wir den Rauka
rechts liegen gelassen haben, machen wir unsere Mittagsrast. Das Wetter hält,
sehr zu unserer Freude. Wir suchen (und finden) den Abzweig nach Westen über die
Hochebene zu den Vuoka-Seen. Mitunter führt der Pfad durch Waldland und ist
nur sehr schwer zu finden. Aber der Vuoka im Westen hilft beim Orientieren.
An einem der kleineren Seen machen wir schließlich Feierabend. |
Der Tour-Plan sieht heute einen Ruhetag vor. Weniger aus blanker Notwendigkeit
als vielmer wegen des "touristischen Angebots". Hier gibt es noch Holz, und Feuer
machen ist erlaubt, weil wir außerhalb der Nationalparks sind. Die Sarekberge
(Pårek) sind von den Hügeln aus zu sehen. Wir bauen Öfen
aus Steinen und kneten Brotteig. Keine schlechte Idee: frisches Brot in der
Wildnis. Manche werden ganz einfallsreich und backen Pizza mit Miraculi-Paste,
Käse und Wacholder-Spitzen, andere sogar Heidelbeer-Kuchen.
In gemütlicher Runde sitzen wir vor unserem Ofen, plaudern und schnuppern
hungrig an unseren Backwaren. Zeit für einen Ausflug bleibt natürlich auch
noch: Wir stromern kreuz und quer durch die Hochebene auf der Suche nach
Rentierherden. Die halten sich versteckt, und wir überqueren unzählige Bächlein
und Sümpfe, ehe wir merken, dass wir gar nicht mehr so recht wissen, wo unser
Lagerplatz ist. Es dauert gut eine Stunde bis wir ihn wiederfinden - von wegen
Ruhetag! |
Bin heute morgen sehr früh aufgestanden und habe ganz alleine in einem der
größeren Seen gebadet. Herrlich! Nach Frühstück und Packen folgen wir dem
Pfad weiter Richtung Vuoka. Eine alte Kohte findet unser Interesse, danach
steigen wir die Hänge des Vuoka hinauf. Der Wald bleibt unter uns zurück,
und wir marschieren links am Vuoka vorbei, immer im Slalom um die Senken
herum. Tief unter uns fließt der Tsielekjåkkå in die Seenplatte.
Mittagsrast machen wir an einem verträumten Bächlein, der den Südhang des Vuoka
hinunterplätschert.
Fettkraut und Stengelloser Enzian wachsen am Ufer - ein kleines Idyll in
grandioser Berglandschaft. Letztere lockt einige von uns, die dem Gipfelruf
des Vuoka nicht widerstehen können. Der Vuoka ist einer jener Berge, die zwar
nicht besonders hoch sind (1248 Meter), aber aufgrund ihrer isolierten Lage
einen spektakulären Ausblick bieten - quasi zum Preis eines Discount-Aufstiegs.
Wir schauen nach Norden weit in den Sarek hinein, im Nordwesten lockt der Staika
(1794 Meter) mit seinem auffälligen Gletscher zwischen seinen beiden Gipfeln.
Nach dem Abstieg geht's weiter ins Rakastal hinein. Hier sieht's wirklich aus
wie im Sarek - ein typisches Trogtal eben. Die Strecke ist sehr angenehm, wir
gehen größtenteils auf Gras. Oben in der Nähe der Renwächterhütte schlagen wir
unsere Zelte auf. Die Sonne scheint immer noch, aber es bläst ein ungemütlicher
Wind aus Wesen. |
Der Tag beginnt steil. Wir steigen nördlich um den Rakaspakte herum auf die
Hochebene. Die Strecke ist anstrengend, aber vielversprechend wegen der schönen
Aussicht. Wir stapfen durch Schneefelder und staunen über den Anblick des
Tarratals tief unter uns und der dunklen Tarrekaise-Berge dahinter. Westlich
vom Rakas biegen wir
nach Süden ab und steigen hinauf ins Hochland um den Ritovare. In einer
kleinen Kuhle machen wir windgeschützt Mittagsrast und genießen die Sonne.
Im weiteren Verlauf wird der Untergrund immer steiniger, je höher wir
kommen. Wir umgehen den Ritovare südlich, bis wir südwestlich davon einen
schönen Lagerplatz finden hoch über einem noch teilweise vereisten Bach.
Wolken ziehen auf, und es wird empfindlich kalt. Der Sprirtus lässt sich nur
sehr ungern entzünden. Trotz der Kälte schließt der Tag mit einem Bad im Bach!
Sonja macht's vor, und die (starken) Männer in der Gruppe wollen da nicht
nachstehen. Im eiskalten Wasser beweisen sie Stärke. Oder vielleicht auch
einfach nur Dummheit, denn wie sich später herausstellt, hatte Sonja nur
"gebadet", weil sie ihren abgetauchten Kochtopf bergen musste. |
Der Morgen ist noch kalt und neblig. Wieder müsen wir den Spiritus vorwärmen,
er will einfach kein Feuer fangen. Das warme Griesbrei-Müsli-Frühstück ist
sehr willkommen. Ich finde (bei der zweiten Tour) meine Zahnbürste wieder, die
ich in der Nähe des Lagerplatzes vor zwei Wochen verloren hatte. Wer hätte sie
auch mitnehmen können? Die heutige Etappe ist flach. Wir marschieren auf der
Hochebene nach Nordwesten immer mit dem Staika als Ziel. Außer kleinen Seen,
Bächen und Blockfeldern gibt es kaum Hindernisse. Die Sonne kämpft sich durch,
und wir erleben einen gemütliche Marschtag. Recht früh erreichen wir die
Staika-Seen und finden am Westufer des größten einen schönen Platz quasi mit
Terrasse. Bei der ersten Tour werden Roger und ich vom Gipfelfieber gepackt:
Wir wollen auf den Staika und ziehen los. Und wie immer trügt die Entfernung.
Es dauert gut eineinhalb Stunden, bis wir erst einmal vor dem Gletscher am Fuß
des Berges stehen. Und dort wird uns klar: Der direkte Aufstieg ist zu steil,
und der Gletscher hat zu viele gefährliche Spalten. Also bleibt nur die Route
über den Nebengipfel. Aber auch die ist so steil, dass wir auf allen vieren
klettern müssen. Wir steigen hart am Grat hinauf und werden mitunter von
völlig unvermittelten Ausblicken senkrecht nach unten überrascht.
Schwindelfreiheit ist absolut notwendig!
Oben auf dem Nebengipfel halten wir uns nicht lange auf, denn wir wollen
rechtzeitig zum Sonnenuntergang auf dem Hauptgipfel sein. Folglich steigen wir
zum Sattel hinunter und sehen unter uns die Oberkante des Gletschers - einen
senkrechten Abriss. Gut, dass wir das nicht gewagt haben. Nach einer weiteren
knappen Stunde erreichen wir im goldenen Abendlicht den Gipfel und sind
überglücklich. Der Blick reicht weit über den Vuoka zurück, im Westen geht er
weit über den großen Vaimok-See hinaus bis zu den Sulitjelma-Bergen in Norwegen.
Die Sonne steht noch hoch über dem Horizont, als wir uns an den Abstieg machen.
Der Rückweg über den steilen Grat kommt nicht in Frage. Wir nehmen die Route
über den vergleichsweise flachen Westhang und damit einen großen Umweg in Kauf.
Wir umrunden das gesamte Staika-Massiv und sind erst gegen 2 Uhr wieder bei den
Zelten - und am Ende unserer Kräfte.
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Ein sonniger Morgen. Nach der langen Bergtour vom Vortag will ich nicht so
recht wach werden. Ich lasse mich nach dem Zähneputzen einfach in den See fallen.
Das macht müde Männer munter. Danach packen wir zusammen und folgen zunächst
der Aufstiegsroute vom Vortag, steigen dann aber hinunter ins Kuravagge. Wir
haben den westlichen Scheitelpunkt unserer Tour erreicht und kehren um nach Osten.
In Sichtweite des Renwächterhütte queren wir das breite Tal und stoßen auf den
markierten Wanderweg Tarradalen-Pieskehaure. Wir folgen ihm bis zum Talausgang des
Kuravagges, wo wir nahe beim Kurajåkkå auf einem Teppich aus
Krähenbeeren unser Lager errichten. Der Ausblick auf das Tarradalen mit dem
Tarraure zu unseren Füßen ist atemberaubend. Wir liegen noch lange vor den
Zelten und genießen ihn.
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Ein neuer sonniger Morgen! Wir folgen dem Weg hinunter ins Tarradalen
und überqueren den Tarraätno über die Brücke. Wir tauchen ein in eine völlig
andere Welt: Grün statt Grau. Nach der kargen Hochfläche kommt jetzt der
Tarra-Dschungel mit wuchernder Wald-Vegetation. Wir kommen flott voran auf
dem Padjelanta-Weg, aber wie immer will nach den weglosen Tagen in den Bergen
keine rechte Freude auf einer markierten "Wanderautobahn" aufkommen. Wir
marschieren an der Tarrekaisehütte vorbei immer am Tarraure entlang. Der Weg
zieht sich, und die Sonne brennt immer heißer vom Himmel. Beim Anstieg in der
Nähe der Tarra-Stromschnellen tritt ein Teil der Gruppe in Streik. Nichts geht
mehr, also Pause. Der steile Abstieg hinunter zur Njunjes-Hütte fordert einige
Opfer, die im rutschigen Schlamm zu Boden gehen. Unmittelbar vor der Brücke
verlassen wir den Padjelanta-Weg und überqueren den Tarraätno erneut auf einer
Brücke. Am Südufer halten wir uns südwestlich und erreichen auf einer kleinen
Hochfläche unseren Lagerplatz. |
Tag 8 ist wieder ein Ruhetag. Auch hier gibt es geeignete Findlinge und Steine,
mit denen geschickte Hände einen Wildnisofen bauen können. Am Flussufer gibt's
ebene Platten, die sich als Kochplatten geradezu aufdrängen. Also wird wieder
Brot gebacken. Das Wetter ist zwar nicht ganz so toll wie an den Vortagen
(es nieselt), aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Die gesamte Gruppe
erscheint am Ofen und lässt es sich gut gehen. Das Brot-, Pizza- und
Kuchenbacken klappt wie am Schnürchen. "Die Platte ischt sauheiß", sagt Guido
aus der Schweiz mehrmals und zurecht. Am Nachmittag sticht dann einige wieder
der Hafer. Wir machen einen
Ausflug, kämpfen uns durch Busch- und Waldland nach Westen zur Akalmschlucht
hindurch. Dort donnert ein auf der Karte nicht eingezeichneter Wasserfall in
die Tiefe. Wir stehen davor und kommen uns sehr klein vor. Weil wir den Fall
auch von oben sehen wollen, steigen wir in gebührendem Abstand vom Wasser die
Flanke des Akalmtjåkkå hinauf. Überall sprüht Gischt durch die Luft,
wir müssen sehr aufpassen, dass wir auf den nassen Felsen nicht ausrutschen.
Oben angekommen können wir uns gar nicht sattsehen. In mehreren Kaskaden nähert
sich der Wildbach dem großen Wasserfall. Er fließt durch einige tiefe
türkisfarbene Becken, eher er die Kante erreicht. Danach sehen wir in erst gut
100 Meter tiefer wieder, wo er klein und scheinbar gemächlich dem Tarraätno
zufließt. Unzählige Fotos werden geschossen, ehe wir uns auf den Rückweg begeben.
Nachts hören wir nur das Rauschen der Tarra-Stromschnellen. |
Der letzte wirkliche Tagesmarsch liegt vor uns. Endstimmung macht sich
breit in der Gruppe. Wir gehen zurück über die Brücke. Der Padjelanta-Weg
hat uns wieder. Heute ist uns das Wetter wieder sehr wohlgesonnen. Es ist warm,
aber für unseren Geschmack viel zu schwül. Wir rasten an den verlassenen
Njunjeshöfen und staunen über die gut erhaltene Einrichtung im Haupthaus
inklusive einer imponierenden Singer-Nähmaschine. Ein Fenster ist offen, und
wir können der Versuchung nicht widerstehen, uns drinnen umzusehen. Im immer
dichter werdenden Waldland
marschieren wir danach immer weiter nach Osten. Je tiefer wir kommen, desto mehr
Moskitos freuen sich über uns. Inzwischen hat sich aber die ganze Gruppe von
der Wirksamkeit der Nordic Sommer Paste überzeugen lassen. Wir verströmen
einen penetranten Duft, der nicht nur Moskitos in die Nase steigt. Ein Pärchen
lässt uns passieren und fragt dann ganz erstaunt: "Was habt ihr den für ein
Mückenmittel?" Wir lagern direkt am Fluss und einige können einem Bad im
Tarraätno nicht widerstehen. Eine Wohltat - trotz Moskitos!
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Der letzte Tag. Wir haben heute nicht mehr weit zu gehen. Das übliche
Ende-der-Tour-Phänomen ist auch bei uns zu beobachten: Obwohl keiner so richtig
raus(!) will, nimmt das Tempo merklich zu. Eine Art Endspurt vor dem großen
Ziel. Und wie jedes Mal ist die Eile völlig sinnlos. Zusammen mit anderen
Wanderern stehen wir am Bootsanleger und warten auf das Boot nach Kvikkjokk.
Hier ist die Mückenplage geradezu unerträglich. Trotz der Wärme sind alle dick
vermummt und versuchen, so viel wie möglich nach Nordic Sommer zu stinken.
Wenigstens ein Grund sich zu freuen, als wir endlich im Boot sitzen, denn
an Bord lässt es sich aushalten. Wir brausen den Unterlauf des Tarrätnos
entlang, fahren über den Saggat und sind schneller als uns lieb ist wieder
dort, wo wir vor neun Tagen aufgebrochen sind. Kvikkjokk hat uns wieder,
und wir warten auf den Bus, der uns schon wenig später zurück nach Jokkmokk
bringt.
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